Erblühen heisst leben

Alles in der Natur ist dem ewigem Zyklus des Werden und Vergehens unterstellt. Nichts gedeiht, um im Stillstand zu verharren. Alles wächst, kommt hervor, zeigt sich - und vergeht. Es ist wohl genau dieses Wechselspiel, dieser ewige Wandel, der uns wiederum Beständigkeit und Halt gibt.

Und doch fühlen wir uns oft überfordert oder verängstigt, wenn der Wandel um uns greift. Wir sind vielleicht noch offen für das Werden - doch dem Prozess des Vergehens geben wir keinen Raum. Wir honorieren nicht die Reife, die Tiefe und Weisheit, die das Vergehen, Verblühen in sich birgt.

Wir schenken dem Werden all unsere Kraft. Alles, was aufstrebend, dynamisch, kraftvoll und ausdehnend ist, wird gefeiert. Was jedoch der Hingabe, dem Loslassen, dem Rückzug und dem Verfall gewidmet ist, lehnen wir ab. Dabei schwingt der Lebenspendel immer zwischen beiden Polaritäten hin und her. Jede Lebensphase, jede Lebenszeit erfährt immer auch beide Energien. Alles ist zyklisch. Das Werden und Vergehen ist ein Teil von uns.

Haben wir deshalb Angst zu erblühen? Haben wir deshalb Angst in unsere volle und einzigartige Lebendigkeit zu gehen, weil wir unbewusst wissen, dass unmerklich immer auch die Phase des Verblühens mitschwingt?

Alles Vergängliche birgt eine zutiefst berührende und transformative Schönheit in sich. Eine Schönheit voller Geschichten, voller Sinnhaftigkeit und vor allem voller Leben. Ist es nicht wunderbar zu erkennen, dass eine Apfelblüte verblühen muss, damit ein Apfel daraus entsteht? Ist es nicht tröstend zu erfahren, dass verwelkte Blätter am Boden genau der nötige Schutz vor beissender Kälte für junge Pflänzchen sind? Ist es nicht berührend zu verstehen, dass ein toter Baum das neue Zuhause und die Nährquelle unzähligen Lebens im Walde sein kann?

Ich bestaune die wunderbaren Blüten, die sich mir momentan überall zeigen. Ich geniesse sie in vollen Zügen. Ich erfreue mich an all den unzähligen frischen und jungen Trieben, die hervorkommen und gedeihen. Ich labe mich am Duft des Frühlings und an seiner berauschenden Intensität an Lebensenergie. Ich schwinge mich mit all meinen Sinnen ein. Und habe keine Angst.

Denn ich sehe die Fülle und Ganzheitlichkeit dahinter. Und hoffe sehr, dass auch du sie siehst.

Erblühen heisst leben.

Susana Garcia Ferreira